Symposium zum Jubiläum
10 Jahre FSD
Rund 100 Teilnehmer nahmen am Symposium teil
Von Thomas Seidenstücker
Vor zehn Jahren, am 4. Oktober 2004, wurde im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) die FSD (Fahrzeugsystemdaten GmbH) gegründet. Im Zuge des verstärkten Einzugs elektronischer Systeme in die Automobiltechnik sollte die FSD vor allem Grundlagen entwickeln und Systemdaten bereitstellen, mit denen elektronisch geregelte, sicherheits- und umweltrelevante Fahrzeugfunktionen innerhalb der regelmäßigen technischen Fahrzeugüberwachung nach § 29 StVZO geprüft werden können. Mit heute rund einer Milliarde unterschiedlichen Daten unterstützt die FSD maßgeblich die Arbeit von Prüfingenieuren und Kfz-Sachverständigen, macht die HU an modernen Fahrzeugen überhaupt erst möglich und stellt die Weichen für die künftigen Herausforderungen der Überwacher. Immer an vorderster Front: Dipl.-Ing. Jürgen Bönninger, Geschäftsführer der FSD.
Zum Jubiläum - 10 Jahre FSD - fand am 14. Oktober im Prüflabor-Standort Radeberg mit rund 100 Teilnehmern aus Industrie, Verbänden, Hochschulen, Prüforganisationen, Politik und langjährigen Weggefährten ein Symposium mit anschließendem Abend-Event statt. Dabei ging es neben der Übermittlung von Glückwünschen vordergründig um die Zukunftsthemen autonomes Fahren, Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung der Verkehrssicherheit sowie Reduktion von im Straßenverkehr verletzten oder getöteten Personen.
Nach der Begrüßung durch Prof. Dr.-Ing. habil. Klaus O. Rompe, Vorsitzender des technischen Beirats der FSD, lobte Rainer de Biasi, GTÜ-Geschäftsführer und gleichzeitig Vorsitzender der FSD-Gesellschafterversammlung, die Zusammenarbeit zwischen FSD, Autoindustrie und Überwachungsorganisationen. Im Zusammenhang mit der fortschreitenden Entwicklung der Elektronik im Auto (die Wertschöpfung elektronischer Komponenten liegt je nach Modell heute inzwischen bei 40 bis 80 Prozent) unterstrich de Biasi, wie wichtig es ist, dass Kfz-Sachverständige und Prüfingenieure durch den Einsatz intelligenter Diagnosetechnik und Prüfmethoden im Rahmen der Hauptuntersuchung Herr der Lage bleiben. Mit der schrittweisen Einführung des HU-Adapters ab Juli 2015 könne man laut de Biasi eine Vorbildfunktion innerhalb der europäischen Union einnehmen.
EU-Politiker für Alkoholtester
Stichwort EU: Dr. Dieter-Lebrecht Koch, Mitglied im EU-Parlament und seit sechs Jahren Vizepräsident im Ausschuss Verkehr und Fremdenverkehr konnte aufgrund einer kurzfristig notwendigen Umdisponierung in Brüssel nur per Videokonferenz in Radeberg präsent sein. "Wir Politiker können keine gute und zukunftsfähige Politik machen, wenn wir nicht Fachleute an unserer Seite haben, die ein Fahrzeug bis in die letzte Schraube oder die Computerprogramme der Fahrerassistenzsysteme bis ins letzte Byte kennen. Wir brauchen das tief gehende Fachwissen und die sachkundige Beratung von Experten. Seit dem Bestehen der FSD, eigentlich seit dem Bestehen der Arge TP 21, konnte ich mich immer auf das Wissen und die Informationen der Menschen um Herrn Bönninger verlassen. Unsere Erkenntnisse fanden ihren Niederschlag speziell bei der Gesetzgebung zur periodischen technischen Überwachung von Fahrzeugen, die einen essenziellen Beitrag zur Straßenverkehrssicherheit leistet", so Koch. Ausdrücklich sprach sich der EU-Politiker für die Einführung intelligenter, leicht handhabbarer und nicht diskriminierender Systeme im Sinne der Alco-Interlocks oder alkoholsensitiver Wegfahrsperren aus. Darüber hinaus forderte Koch die Durchdringung der Fahrzeugflotte im Straßenverkehr mit den entscheidenden Fahrerassistenzsystemen, um den höchstmöglichen Nutzen für die Verkehrssicherheit und die Umwelt zu erzielen.
Im Hinblick auf die Vision Zero zog Christian Kellner, Hauptgeschäftsführer des DVR, in seinem Beitrag anschließend einen interessanten Vergleich zwischen der Entwicklung in der Industrie und dem Straßenverkehr. Die schrittweise Trennung von Mensch und Gefahr habe in der industriellen Produktion bereits im 19. Jahrhundert begonnen, sei sukzessive perfektioniert worden und heute passieren dort kaum noch Unfälle. Im Straßenverkehr hingegen seien die primären Aufgaben des Fahrers heute noch die gleichen wie zu Beginn des Autos (1888). In diesem Zusammenhang ist Kellner davon überzeugt, dass der Prozess der Automatisierung des Fahrzeugs, wie in der industriellen Welt, automatisch zu mehr Sicherheit und weniger Unfällen führen wird.
Brauchen wir mit Alco-Lock-Sperren noch eine MPU?
Auch für Ministerialdirigent Christian Weibrecht, Leiter der Unterabteilung Straßenverkehr im BMVI, hat die FSD einen festen Platz im System der periodischen Fahrzeugüberwachung. In seinem Vortrag stellte er provokante Thesen auf: Brauchen wir mit Alco-Lock-Sperren noch eine MPU? Oder: Ist es notwendig bei autonomen Fahrzeugen noch verstärkt auf den Menschen und seine Fahrausbildung zu achten? Um solche Fragen final beantworten zu können, fehlen heute noch wissenschaftliche Erkenntnisse. Auch die Haftungsdiskussion beim autonomen Fahren oder anderen Fahrerassistenzsystemen ist derzeit in vollem Gang. Erst bei entsprechender Überarbeitung von Wiener Konvention, ECE-Regelungen und StVZO wird sich die Verbreitung der Systeme beschleunigen und das Unfallvermeidungspotenzial der Systeme im Markt bemerkbar machen. Die Modernisierung kann aber nicht allein über die Neufahrzeuge erfolgen. Positive Effekte würden sich dann erst verzögert einstellen. Weibrecht forderte deshalb mehr Interaktion der Autos mit der vorhandenen Infrastruktur und mehr Car-to-X-Kommunikation. Darüber hinaus ging er auf den geplanten Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge an den 430 Autobahnraststätten ein. Hier sind ca. 700 Ladesäulen geplant.
Bei aller Begeisterung für neue Fahrerassistenzsysteme und ihr rechnerisches Unfallvermeidungspotenzial gab Dr.-Ing. Matthias Kühn, Leiter Fahrzeugsicherheit bei der Unfallforschung der Versicherer (UDV), zu bedenken, dass die Systeme die Unfallsituationen abdecken und entschärfen müssen, die im Feld auch tatsächlich vorliegen. Nicht alles was heute technisch möglich sei, würde einen echten Nutzen für die Verkehrssicherheit bringen. Darüber hinaus gelte es, so Kühn, die Systeme prüfen zu können und die dazu verwendeten Testwerkzeuge zu harmonisieren. Eine klare Absage erteilte Kühn der Idee, die passive Sicherheit bei neuen Autos zurückzufahren und sich stattdessen auf aktive Systeme zu verlassen. Man brauche die passive Sicherheit als Basis-Grundschutz, die unabhängig von elektronischen Systemen funktioniert.
Am Beispiel der neuen Mercedes-Benz S-Klasse sprach Dipl.-Ing. Karl-Heinz Baumann, bis 2012 Leiter der Abteilung Strategien und Konzepte Passive Sicherheit sowie Kindersicherheit, über neue Entwicklungen in der Fahrzeugsicherheit und Potenziale des automatisierten Fahrens. Dabei ging er insbesondere auf die Thematik „Pre-Pulse“ ein, bei dem die Fahrzeuginsassen zum Beispiel durch einen aktiven Impuls per Luftkissen im Sitz oder eine gezielte Gurtstraffung etwa 600 ms vor dem unvermeidbaren Aufprall in eine andere Position gebracht werden. Ziel ist es, die Kräfte auf den Insassen beim Aufprall zu minimieren indem man mehr Zeit für den Belastungsabbau gewinnt und zusätzlichen Bewegungsraum schafft.
Sicherheitskonzept von Kleinwagen
Am Beispiel des Smart erläuterte Baumann das heutige Sicherheitskonzept von Kleinwagen und die Wichtigkeit der sicheren Auslegung diese Fahrzeugkategorie in Hinblick auf die Kompatibilität. Aufgrund der begrenzten Knautschzone müssen die Fahrgastzellen von Klein- und Kleinstwagen sehr steif ausgelegt sein und die Insassen im Falle des Unfalls früh an die Fahrgastzelle gekoppelt werden. Mögliche Crashoptimierungen für künftige Kleinwagen sieht Baumann in einer künstlichen Verlängerung des Fahrzeugvorbaus per Außenairbags und die Nutzung des Pre-Pulse-Konzepts (Vorbeschleunigung der Insassen), in Verbindung mit nachgebenden und verschiebbaren Sitzen auch in dieser Fahrzeugklasse. In Zusammenhang mit dem autonomen Fahren sieht Baumann ein hohes Unfallvermeidungspotenzial durch autonome Eingriffe bei Unfällen die sich anbahnen und auf die man sich vorbereiten kann. Allerdings gäbe es auch immer wieder Unfallsituationen die ohne eigenes Fehlverhalten unvermeidbar sind und dabei weder Mensch noch Maschine den Unfall verhindern können. Dann lässt sich mit autonomen Eingriffen aber die Unfallschwere mildern. Autonomes Fahren sei deshalb nicht gleichzusetzen mit dem unfallfreien Fahren, was in diesem Zusammenhang oft so dargestellt wird.
Der Erfolg des autonomen Fahrens wird letztlich von zwei Strömungen beeinflusst: Wie bewertet der Verbraucher das Kosten/Nutzen-Verhältnis für sich selbst und welchen Nutzen sieht die Politik? Laut Berechnungen bewirkt das unfallfreie Fahren wirtschaftliche Einsparpotenziale von circa 174 Mrd. Euro in der EU. Das sollte für die Politik Motivation genug sein. Dr.-Ing. Peter E. Rieth, Senior Vice President Systems & Technology, Continental Division Chassis & Safety ging in seinem Vortrag aber insbesondere auf die Thematik Systemvertrauen ein. Niemand wird bei einem voll autonomen Fahrzeug den Autopilot einschalten, wenn man sich als Insasse unsicher fühlt und damit rechnen muss, dass trotzdem ein Unfall passieren kann. Absolute Grundlage für die Einführung des automatisierten Fahrens sei deshalb die hundertprozentige Fahrsicherheit.
Prof. Dr.-Ing. Günther Prokop, Inhaber des Lehrstuhls für Kraftfahrzeugtechnik an der TU Dresden baute ein Stück weit die Brücke zurück zur FSD, indem er eine Möglichkeit präsentierte, intelligente Fahrzeugsysteme auch intelligent auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen. Das entwickelte Simulationsmodell, welches auf Simulatorstudien und Fahrversuchen mit unterschiedlichen Probanden basiert, ist hauptsächlich für die Simulation gedacht, um eine maximale Reproduzierbarkeit unterschiedlicher Szenarien zu erhalten. Zudem soll es ein basisorientierter Schritt sein, die Performance eines Systems messbar zu machen. Denkbar ist aber auch eine Verwendung des Modells für eine periodische Überprüfung der Systeme oder innerhalb der Fahrausbildung.
Einführung des elektronischen Notrufs
Den Abschluss der interessanten Symposiumvorträge markierte FSD-Geschäftsführer Jürgen Bönninger mit einem Rückblick auf die Anfänge der Fahrzeugüberwachung und einem Ausblick auf denkbare Verfahren zur Prüfung künftiger Fahrzeuge und Systeme. Mit Einführung des elektronischen Notrufs (eCall), den es in Osteuropa und den USA bereits gibt und der dort mit 50 Prozent Fehlauslösungen behaftet sein soll, steht die Herausforderung, den e-Call in die periodische Überwachung einzubeziehen. Dafür arbeitet die FSD in Verbindung mit dem HU-Adapter an einer Prüfmethodik, die neben der Sprachübermittlung auch die Prüfung des Standorts (GPS) ermöglicht. Außerdem ist man damit beschäftigt, Methoden für die Kontrolle der Car-to-X-Kommunikation und fahrdynamische Prüfmethoden zu entwickeln. Schon länger hat die FSD einen ESP-Prüfstand in der gläsernen Prüfhalle in Radeberg installiert. Wie eine praktikable Fahrdynamikprüfung in der Werkstatt oder Prüfstelle aussehen und eines Tages vielleicht einmal Teil der periodischen Überwachung werden könnte, war auf der Automechanika im September zum Beispiel am Stand der Firma MAHA zu sehen. Last not least präsentierte Bönninger zum Abschluss seines Vortrages einige Vorschläge, wie eine Anpassung der gesetzlichen Grundlagen, unter anderem der § 30 StVZO zur Beschaffenheit der Fahrzeuge, mit Blick auf die Genehmigung von automatisierten Fahrfunktionen und Prüfvorgaben aussehen könnte.
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(Foto: Thomas Seidenstücker)
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