"Vision Zero"
Mobilität ohne Todesopfer
Keine Toten mehr im Straßenverkehr? Damit dies einmal Realität wird, sind noch viele Maßnahmen zu ergreifen.
Von Klaus Lockschen/SP-X
Jährlich sterben weltweit rund 1,25 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen, 50 Millionen erleiden schwere Verletzungen. Weit überwiegend sind Menschen in Entwicklungsländern betroffen, in vielen Industrienationen gehen die Opferzahlen schon seit Mitte der 70er-Jahre zurück. Allerdings stagnieren die Zahlen in den letzten Jahren bei uns nur noch.
"Warum nehmen wir es hin, dass wir Menschenleben für unsere Mobilität opfern?", fragte Hans Michael Kloth von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit) auf dem Kongress des Deutschen Verkehrssicherheitsrats (DVR) zum Thema "Vision Zero" auf den Punkt. Ein Sinneswandel sei dringend nötig.
Grundgedanke von Vision Zero ist, Straßen und Verkehrsmittel so sicher zu gestalten, dass die Zahl der Verkehrstoten gegen Null geht: Jeder kommt an, keiner kommt um. Pioniere sind hier Schweden und die Niederlande. Dort wird sich dem Thema bereits seit Ende der 90er Jahre angenommen. Mittlerweile haben zahlreiche Staaten diesen Ansatz aufgenommen. So auch Deutschland, das die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent senken will. Aber welche Maßnahmen müssen dazu ergriffen werden?
Zentrale Unfallursache: menschliches Versagen
Für die Vision Zero, so der Tenor des Kongresses, müsse an allen Stellschrauben gedreht werden: beim Verkehrsteilnehmer, bei der Verkehrsinfrastruktur, auf gesetzlicher Ebene und natürlich weiterhin bei der Fahrzeugsicherheit. 90 bis 95 Prozent aller Unfälle sind nach Angaben von Peter Larsson vom schwedischen Verkehrsministerium auf menschliches Versagen zurückzuführen. Und jeder zweite tödliche Unfall, so wird geschätzt, könnte verhindert werden, wenn sich der Fahrer an die Verkehrsregeln hielte. Denn eine zentrale Unfallursache ist nichtangepasste Geschwindigkeit.
Frankreich setzt vor allem auf Verkehrsüberwachung. War dort vor 2003 noch kein einziges Blitzgerät vorhanden, sind es jetzt fast 4.400, die Tempo- und Rotlichtvergehen dokumentieren. 24 Millionen Bußgeldbescheide kommen pro Jahr so zustande. Infolgedessen hätte sich das Verkehrsverhalten geändert, glaubt Joel Valmain vom französischen Verkehrsministerium. Die Durchschnittsgeschwindigkeit habe sich um zehn Prozent verringert, dadurch seien binnen zehn Jahren 30.000 Leben gerettet worden.
Schweden und die Niederlande legen den Fokus unter anderem auf veränderte Verkehrsinfrastruktur. Nicht der Fahrer, sondern das Design der Straße sorge für die richtige Geschwindigkeit, erklärt Henk Stipdonk vom niederländischen Forschungsinstitut für Straßenverkehrssicherheit. Die Kategorie der Straße müsse vom Fahrer unmittelbar wahrnehmbar sein und definiere die Geschwindigkeit. So wird Straße für Straße und Kilometer um Kilometer umgebaut, um den Verkehr zu entschärfen, notfalls auch mit Schwellen im Kreuzungsbereich.
Sicherheitstechnik wie vor 20 Jahren
Für Antonio Avenoso vom European Transport Safety Council ist es inakzeptabel, dass die in Schwellenländern verkauften Neuwagen nicht annähernd die europäischen Crashtest-Norm erfüllen. Und das, obwohl sie von den weltweit führenden Herstellern stammen. In Lateinamerika zum Beispiel liege das Sicherheitsniveau 20 Jahre hinter Nordamerika und Europa zurück. Ein gesetzlicher Rahmen sei notwendig, der nicht nur das Abgasniveau eines Autos reglementiere, sondern auch das Sicherheitsniveau. Und so hofft David Ward von Global NCAP, dass bereits im Jahr 2020 die wesentlichsten Crashtest-Kriterien nirgendwo mehr auf umgangen werden können.
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