Verkehrsgerichtstag
Datendiskussion in Goslar
Etwa 170 Teilnehmer waren beim Arbeitskreis VII "Wem gehören die Fahrzeugdaten?" dabei
Von Thomas Seidenstücker
Die Empfehlungen der Arbeitskreise des Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar nimmt der Gesetzgeber gern in Augenschein, wenn neue Regularien und Gesetze zur Diskussion und Verabschiedung anstehen. Legitim, dass die jeweiligen Lager den Auftritt in Goslar oft zur Lobbyarbeit nutzen und ihre Interessen in die Vorschläge der Arbeitskreise besonders einbringen wollen. Für die Gruppe der Unfallanalytiker und Sachverständigen war beim nunmehr 52. Deutschen Verkehrsgerichtstag vom 29. bis 31. Januar 2014 insbesondere der Arbeitskreis VII relevant, der sich mit dem Thema Fahrzeugdaten und der Grundsatzfrage: "Wem gehören die Fahrzeugdaten?" beschäftigte.
Vor allem Daten des Fahrzeugs, die kurz vor und während des Unfalls gespeichert werden, können bei unklarer Spurenlage eine wichtige Grundlage für die Unfallrekonstruktion sein. Im etwa 170 Personen starken Teilnehmerumfeld des Arbeitskreises VII fanden sich dann vornehmlich auch Vertreter aus der Automobilindustrie, von Prüforganisationen sowie Sachverständige, Rechtsanwälte und Verantwortliche aus der Versicherungsbranche. Unter der Leitung von Dr. Walter Eichendorf, Präsident des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) stellte Jürgen Bönninger, Geschäftsführer der Fahrzeugsystemdaten GmbH, am Beispiel eines animierten geschichtlichen Abrisses der Automobilentwicklung zunächst den Nutzen des internen Datenaustauschs elektronischer Fahrzeugsysteme für die Fahrzeugsicherheit heraus. Bönninger: "Der bedarfsgerechte Austausch von aktuellen Informationen zu Fahrerwunsch, Fahrzeugzustand, Fahrverhalten und Umgebung ermöglicht neuartige Assistenz- und Chauffeursfunktionen, die helfen, Unfälle zu vermeiden, die Umweltbelastung zu reduzieren und den Verkehr insgesamt leistungsfähiger zu gestalten". In diesem Zusammenhang sprach sich Bönninger für klare rechtliche Regelungen zum Schutz der Fahrer- und Fahrzeugdaten aus. Eine Übertragung müsse anonym erfolgen und der Fahrzeugführer und –halter müssten selbst entscheiden können mit, wem das Fahrzeug wie kommunizieren darf.
Anschließend ging Rechtsanwältin Dr. Daniela Mielchen in Bezug auf die Einführung des eCall und die damit verbundene Datenweitergabe auf mögliche Nachteile für Fahrer und Halter ein. Bereits heute würden viele elektronische Daten über das Fahrzeug den Fahrer und dessen Fahrverhalten gespeichert und ausgewertet, ohne dass dies den Fahrern bekannt sei. Mielchen: "Bedenkt man, dass demnächst durch eCall, Telematiksysteme, etc. eine Vielzahl an leicht abrufbaren Daten vorhanden sein wird, muss befürchtet werden, dass Sicherstellungen/Beschlagnahmen bei Unfällen zukünftig möglicherweise routinemäßig und flächendeckend durchgeführt werden. Auf diese Weise kann man in Zivil- und Strafprozessen leicht vom eigenen Fahrzeug verraten werden."
Differenzierten Umgang mit Daten
Prof. Dr. jur. Alexander Roßnagel, Direktor des Forschungszentrums für Informationstechnik - Gestaltung (ITeG), Universität Kassel, FB Wirtschaftswissenschaften, Institut für Wirtschaftsrecht, befasste sich mit der Thematik Daten grundsätzlich. Demnach gehören Kraftfahrzeugdaten als immaterielle Informationen niemandem. Allerdings würde die Rechtsordnung einen differenzierten Umgang mit diesen Daten erfordern. Eine verantwortliche Stelle darf Kraftfahrzeugdaten erheben, verarbeiten und nutzen, wenn der Betroffene schriftlich dazu eingewilligt hat oder wenn es das Gesetz erlaubt. Wenn der Halter oder Fahrer Eigentümer oder Besitzer der Speicher- und Verarbeitungsmedien ist, lässt sich der Zugriff anderer auf die Daten verhindern, sofern der Zugriff nicht durch Vertrag oder Einwilligung erlaubt ist. Zudem hat der Betroffene Anspruch auf Auskunft gegen die verantwortlich Stelle muss diese aber nicht in einer Form übermittelt bekommen, die für eine automatisierte Weiterverarbeitung geeignet ist.
Dr. jur. Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) aus Kiel ist bekennender Datenschützer und wies auf einige Gefahren hin, die sich mit der Datensammlung im Fahrzeug ergeben. Insbesondere durch Kooperationen der Automobilindustrie mit amerikanischen Internetunternehmen, die Einbindung des Internets und des Mobilfunks im Fahrzeug sowie durch Telematikdienstleistungen ergäben sich ungeahnte Möglichkeiten der Datensammlung und Datenauswertung durch Dritte, die dem Verbraucher und Autofahrer heute noch gar nicht bewusst wären. Das Fazit Weicherts: "Angesichts der vielen Beteiligten, der verfolgten Zwecke und der Schnittstellen zu diversen externen Systemen ist die Realisierung von Datenschutz nicht trivial, aber möglich."
Daten dienen der Sicherheit
Bereits die Vorträge des Arbeitskreises VII in Goslar zeigten die verschiedenen Sichtweisen auf das Thema Datensammlung und Datenverfügbarkeit in Zusammenhang mit dem Fahrzeug. Um den Fahrzeugservice und die Fahrzeugsicherheit sicherzustellen, um neue Dienstleistungen und mehr Komfort zu ermöglichen, kommt man nicht umhin, Daten zu sammeln und zugänglich zu machen. Wer über eCall den Notruf aktiviert, outet sich und/oder sein Fahrzeug zwangsläufig. Das gefällt nicht jedem ist aber notwendig, denn wer möchte im Ernstfall keine schnelle medizinische Hilfe haben? Ruft aber das Servicecenter des Fahrtzeugherstellers an, weil das Auto einen fälligen Ölwechsel oder verschlissene Bremsen völlig eigenständig gemeldet hat, ist der ein oder andere verwundert, freut sich aber am Ende doch über diesen Service. Ein anderer findet diese Art der Kontaktaufnahme unmöglich und wittert Abzocke der Werkstatt oder des Automobilherstellers. Solche Dinge lassen sich im Vorfeld sauber klären, was mitunter in der Praxis aber gern im Kleingedruckten untergeht.
Wer in einen schweren Unfall verwickelt ist, will im Unschuldsfall zu allen Beweisen Zugang haben. Wenn das Auto oder dessen Elektronik dazu relevante Informationen liefern kann, ist es nicht nachvollziehbar, dass es darauf keinen Zugriff gibt, dass Automobilhersteller und Zulieferer mauern oder erst große Hürden genommen werden müssen, die Zeit und Mühe kosten.
In diesem gesamten Daten-Spannungsfeld die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen zu schützen und einen Königsweg zu finden, der allen Beteiligten Rechnung trägt ist schwierig, ja nahezu unmöglich und erinnert gelegentlich an den Spruch: Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Zu vielfältig sind die Interessenlagen, sodass schlussendlich der Gesetzgeber durchgreifen und fixieren muss (müsste) was der Gesellschaft mehrheitlich nutzt. Wie ernst es der Politik mit dem Thema sensible Daten und Datenschutz allgemein ist und wie man sich hier selbst im Weg steht und keine klare Linie verfolgt, zeigt nicht zuletzt die NSA-Affäre. Wer glaubt da wirklich an besondere Datenschutzrechte von Autofahrern?
Bei aller wechselseitiger Diskussion und Interessenlage in Goslar hat sich der Arbeitskreis VII dennoch auf finale Empfehlungen geeinigt, die versuchen, mehrere Interessen zu berücksichtigen. Die Empfehlungen aller anderen Arbeitskreise aus Goslar finden sich ebenfalls anhängend. (ts)
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