Studie
Unfälle durch Smartphones nehmen zu
Neben Navi, Radio oder lauten Kindern auf dem Rücksitz zieht besonders das Smartphone die Aufmerksamkeit magisch an.
Noch eine Stunde bis nach Hause, die Strecke zieht sich und die Landstraße ist fast leer. Die Neugierde siegt: Zwei, drei Klicks, das Smartphone leuchtet auf und zeigt die neuesten SMS, Whatsapp-Nachrichten, Facebook- oder Twitter-Einträge. Auch in der Stadt droht an der roten Ampel Langeweile. Und das Stop-and-Go im Berufsverkehr lässt es ebenfalls in der Telefonhand kribbeln. Immer mehr Autofahrer können da nicht widerstehen und greifen zu. Und immer öfter passieren Unfälle, bei denen die Polizei den Verdacht hat, dass die Fahrer Nachrichten gelesen oder getippt haben.
Das Thema ist heikel. Zwar appelliert die Polizei an die Vernunft der Autofahrer und droht mit strengen Strafen. Erwischt wird aber nur ein winziger Bruchteil der Handy-Nutzer. In Berlin leitet Polizeioberrat Andreas Tschisch den Verkehrsbereich. Der lebhafte, fröhliche Mann mit dem schütteren Haar will die Situation nicht beschönigen: "Diese Ablenkung nebenbei hat absolut zugenommen und wird noch mehr zunehmen. Die Freizeitentwicklung ist wesentlich schneller als unsere Kontrollmöglichkeiten."
Für die Polizei sei es ausgesprochen schwierig, das Lesen von SMS zu beweisen. "Wenn jemand telefoniert, ist das von außen noch gut zu erkennen", sagt Tschisch. "Aber Smartphones, die Fahrer auf dem Bein liegen haben oder in der Hand halten, sind kaum zu sehen. Erst recht nicht bei den Geländewagen, in denen die Fahrer sehr hoch sitzen."
Zwar habe die Polizei in Berlin zuletzt nur 35 Unfälle im Jahr festgestellt, bei denen ein konkreter Verdacht bestand, dass der Fahrer las oder tippte. Das sei aber nicht überraschend. Nach einem Unfall lasse der Fahrer das Handy oft schnell verschwinden, weil die Versicherung sonst von Fahrlässigkeit ausgehe. "Die Dunkelziffer ist bei der Benutzung enorm hoch, das geht sicher in die Zehntausende", sagt Tschich.
Ablenkung größer als beim Telefonieren
Dabei ist die Gesetzeslage klar. Zwischen Tippen und Telefonieren wird nicht unterschieden. Das Benutzen eines Telefons ist verboten und kostet 40 Euro und einen Punkt. Beim Lesen oder Schreiben ist die Ablenkung noch viel größer als beim Telefonieren. Wer beim Tempo von 50 Kilometern pro Stunde zwei Sekunden auf ein Display sieht, fährt in der Zeit knapp 30 Meter weit. Auf der Landstraße bei 100 Stundenkilometern sind es knapp 60 Meter ohne direkte Sicht auf die Straße.
Springt dann plötzlich ein Kind oder Tier auf die Straße oder bremst das vorfahrende Auto, kann das böse enden. Ein Verkehrspolizist berichtet von schlimmen Funden der Kollegen: "Bei tödlichen Unfällen gab es schon grauenvolle Umstände, wo jemand noch ein Handy in der Hand hatte mit halb eingegebener Pin."
30 Prozent nutzen Smartphone während des Fahrens
In einer Studie der Allianz-Versicherung von 2011 gaben 30 Prozent der Befragten zu, sie würden ab und zu beim Fahren Nachrichten lesen. 20 Prozent sagten, sie würden auch schreiben. Bei den 18- bis 24-Jährigen lagen die Zahlen noch höher.
In Deutschland sorgte kürzlich die Kölner Polizei für Aufsehen, weil sie nach Unfällen verstärkt Smartphones beschlagnahmen wollte. Die Daten sollten zeigen, ob Fahrer zur Unfallzeit ihr Handy nutzten. Die Zahl der Unfälle mit ungeklärter Unfallursache habe zwischen 2008 und 2013 um 56 Prozent zugenommen, vermutlich gebe es einen Zusammenhang zur steigenden Zahl von Smartphone-Nutzern, zitierten Zeitungen die Kölner Verkehrspolizei.
Inzwischen schweigt die Kölner Polizei zu dem Thema. Zuständig ist nun das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen (NRW). Einen Maulkorb für die Polizei gebe es nicht, sagt dessen Sprecher Jörg Rademacher. Allerdings sei das Thema etwas hochgespielt worden, sagt er - und räumt dann ein, es gebe kaum konkrete Zahlen, aber ein "großes Dunkelfeld". Leider seien die Telefone so in den Alltag vorgedrungen, dass es den Menschen schwer falle, länger auf sie zu verzichten. Rund 131 000 Verstöße gegen das Handyverbot am Steuer registrierte die Polizei im vergangenen Jahr in NRW.
Die Problematik dürfte in den kommenden Jahren noch zunehmen. Wenn die meisten Autos über Internet und Fernsehen verfügten, wachse die Gefahr der Ablenkung weiter, sagt ein Verkehrsexperte der Allianz. Nur gut, meint er, dass gleichzeitig auch automatische Sicherheitssysteme entwickelt würden. Die Zukunftsvision könnte also so aussehen: Während der Fahrer seinen Blick auf ein Display richtet, verhindert das automatische Abstandssystem mit einer Vollbremsung den Crash am Ende der Stauschlange. (dpa)
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