19.10.2016
   

Selbstfahrender Audi A7 Sportback

Beifahrer hinterm Lenkrad

Selbstfahrender Audi A7 Sportback

Bei Audi müssen die Hände nicht mehr am Steuer sein.

Von Peter Maahn/SP-X

Beifahrer hinterm Lenkrad, ein neues Gefühl, das Hirn und Herz gleichermaßen beansprucht. Drumherum auf der dreispurigen Autobahn bei Ingolstadt all die anderen. Trucks auf der rechten Spur und immer auch beim Elefantenrennen in der Mitte, Urlauber auf dem Weg in die Herbstferien, eilige Geschäftsleute mit schwerem rechten Fuß. Viel Verkehr also auf der Rennbahn Richtung Osten. Und wir sind im Zentrum all dessen, die Hände parken auf den Oberschenkeln, ein grünes Lichtband am unteren Ende der Frontscheibe signalisiert, dass dieser Audi gerade auf den Faktor Mensch verzichten kann.

Vielleicht wird "Jack", wie die Ingenieure den weißen, mit Aufklebern etwas entstellten Audi A7 Sportback fast liebevoll nennen, mal in die Geschichte eingehen. Als erstes Auto, das im öffentlichen Verkehr auf einer deutschen Autobahn vollautomatisch unterwegs war. Es hält Spur und Abstand, es überholt ohne Anweisungen des Fahrers und setzt auch brav den Blinker. "Jack" kann sogar höflich sein und einem anderen Auto das Einscheren auf die Autobahn ermöglichen, wenn denn die Überholspur es zulässt. Die Befehle bekommt das blechgewordene Playstation-Mobil von einem elektronischen Superhirn, das die Signale aller Sensoren bewertet, einordnet und in ein gerade nötiges Manöver umwandelt. Laserscanner, Kameras, Ultraschall und vor allem Radaraugen rund ums Auto sehen mehr als jeder Mensch, haben stets den 360-Grad-Rundblick.

Vom Rücksitz aus beobachtet Ingenieur Miklos Kiss die Arbeit seines Schützlings, der Kollege auf dem Beifahrersitz hat für alle Fälle drei Pedale in seinem Fußraum, wie in einem Fahrschulwagen. "Die brauchen wir nur ganz selten", beruhigt Kiss, der bei Audi die sogenannte "Vorentwicklung Assistenzsysteme" verantwortet. "Jack lernt bei jeder Fahrt dazu, schätzt plötzlich auftretende Situationen in aller Regel richtig ein", berichtet der aus Ungarn stammende Ingenieur.

Und plötzlich ist so eine Situation da. Ein osteuropäischer Sattelzug beschließt, seinen vor ihm fahrenden Kollegen hinter sich zu lassen und schert gut 70 Meter vor "Jack" auf die Mittelspur aus. Der Audi scheint kurz zu überlegen – abbremsen oder auf die linke Spur wechseln? In diesem Moment nähern sich von hinten zwei Motorradfahrer, die dicht geduckt hinterm Lenker wohl gerade mit gut 200 km/h ein Privatduell ausfechten. Um es kurz zu machen: Der Versuchs-Audi erkennt die Gefahr, bremst sich sanft hinter dem Truck ein und wechselt erst dann auf die Überholspur, nachdem die Biker vorbeigeschossen sind.

Herausforderung für den Computer

"Für den Rechner ist das eine Herausforderung", erläutert Miklos Kiss. Die tief geduckten Motorradfahrer, die sich noch dazu mit einem hohen Geschwindigkeitsüberschuss nähern, sind schwerer zu erkennen als ein Pkw. Doch der Audi-Mann ist zufrieden mit der Arbeit der elektronischen Kommandozentrale. "Alles richtig gemacht", lobt er. Die Radarsensoren im Heck haben also das Tempo der Zweiräder richtig berechnet und den an sich geplanten Wechsel auf die linke Spur gestoppt.

Bei alledem ist der Mensch auf dem Fahrersitz nur Mitfahrer, unbeteiligt und gleichsam der Technik ausgeliefert. "Ein normales Gefühl", beschreibt Kiss diese menschliche Regung. "Es dauert einige Zeit, bis das Vertrauen in die Fahrkunst des Rechners aufgebaut ist." So zum Beispiel auch, wenn "Jack" nach dem Überholen wieder zurück auf die Mittelspur wechselt. Dabei pendelt er oft viel näher an einen rechts fahrenden Lkw heran, als man es als Fahrer selbst täte. Dessen Hände bewegen sich unwillkürlich vom Oberschenkel in Richtung Lenkrad, öffnen sich, um den Lederkranz schnell umschließen zu können, falls die Annäherung an den Truck zu dicht wird. Sanft ordnet sich der Audi schließlich korrekt in seine Spur ein. Die Hände wechseln vom Alarmmodus ins Entspannte.

Viele Fragen noch ungelöst

Dr. Kiss behält recht. Nach wenigen Kilometern stellt sich tatsächlich eine Spur von Vertrauen ein. "Natürlich sind viele Fragen noch ungelöst", sagt der Chefentwickler. "Nebel, starker Regen, Schneematsch oder Glatteis sind eine Herausforderung, weil sie die Sensoren in besonderer Weise beeinträchtigen können." Er nennt als künftige Aufgaben auch Baustellen oder Ausfahrten, den Wechsel von einer Autobahn auf die andere an einem Verkehrsknoten. So eine Ausfahrt liegt jetzt vor uns. Das LED-Lichtband wechselt auf Gelb, was den Fahrer aus seinem Dornröschenschlaf erwecken soll. In einer Anzeige wird gemeldet, dass das sogenannte pilotierte Fahren in einer Minute endet. Der Mensch übernimmt, hat den Zügel wieder in eigener Hand.

So wird sie also aussehen, die neue Zeit. Für viele sicher ein Traum, für nicht wenige ein Albtraum. Diese etwas andere Art von Fahrspaß muss von der heutigen Autofahrer-Generation erst verstanden und dann gelernt werden. Miklos Kiss fasst zusammen, was möglich sein wird: "Wir übergeben wirklich die Verantwortung an die Maschine. Nicht in allen Situationen, aber doch in immer mehr Lebenslagen im täglichen Verkehr. Unser höchstes Ziel ist dabei die Sicherheit unserer Kunden."

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