Jubiläum
45 Jahre VW-Prüffeld Ehra-Lessien
Allein die Schnellfahrbahn im weiten Oval ist 21 Kilometer lang und erlaubt mit ihren überhöhten Kurven seitenkraftfreies Fahren bis 200 km/h
Von Michael Kirchberger/SP-X
Das waren noch Zeiten, als in den siebziger Jahren der unvergessene Speed-Junkie und Herrenfahrer Huschke von Hanstein über das lange Asphaltoval donnerte. Und mit dem Porsche 911 Carrera von Carl Hahn, dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, einen Geschwindigkeitsrekord aufstellte. So lebhaft wie damals geht es heute selten zu, gut 25 Kilometer nordwestlich von Wolfsburg, wo sich auf dem platten Land das VW-Prüfgelände Ehra-Lessien trotz Opulenz in der flachen Landschaft versteckt. Still und leise wird hier gearbeitet, allenfalls das Donnern der Motoren bricht ab und zu die Stille der umliegenden Wälder. Aber nicht mehr so oft, denn immer häufiger ziehen Elektroautos hier ihre Bahnen.
Und das im Geheimen und streng sind die Sicherheitsauflagen. Wer die Erlaubnis erhält, das Gelände zu betreten, muss sich zuvor aller neumodischer Kommunikationsgeräte entledigen. Smartphones, Handys, iPads, Laptops, alles wird am Tor 12, dem Besuchereingang des Testareals, im Schließfach deponiert. Dann erst hebt sich die Schranke und gewährt die Einfahrt und den Blick in die Zukunft von VW und anderer Marken des Konzerns.
Das werkseigene Areal nimmt eine Fläche von elf Millionen Quadratmetern ein, damit ist das Prüfzentrum das größte Automobil-Testgelände der Welt. Sagt VW. 100 Kilometer groß ist das Straßennetz zwischen den Eichen und Buchen, die Sichtschutz vor den neugierigen Blicken der Erlkönigjäger an den in großer Entfernung errichteten Zäunen bieten. Allein die Schnellfahrbahn im weiten Oval ist 21 Kilometer lang und erlaubt mit ihren überhöhten Kurven seitenkraftfreies Fahren bis 200 km/h. Die mögliche Höchstgeschwindigkeit liegt dort bei 345 km/h, Herr von Hanstein war damals nicht ganz so schnell.
Rüttelstrecken, Kopfsteinpflaster
Die vielfältigen Fahrbahnqualitäten in Ehra-Lessien erlauben jegliche Arten von Tests. Rüttelstrecken, Kopfsteinpflaster unterschiedlicher Qualität. Rund 1.000 Mitarbeiter fahren Prototypen und Versuchsfahrzeuge nach streng einzuhaltenden Vorgaben durch die Parcours. Zu denen gehören auch die Steigungs- und Gefällestrecken, wo auf 5 bis 32 Prozent Neigung so manch ein Allradauto passen muss. Und die riesige, sogenannte Dynamikfläche, deren Asphalt sich fugenfrei über eine Fläche von 250.000 Quadratmeter erstreckt, bietet für alle erdenklichen Fahrmanöver ausreichend viel Raum. Ein Gefälle von vier Metern zwischen der westlichen und östlichen Kante soll sicherstellen, dass Regenwasser zügig ablaufen kann. Die gewaltige spiegelnde Fläche wurde in der Vergangenheit dennoch öfters zur Falle für Wasservögel. Die interpretierten das große Rechteck als See und stellten sich für die Landung im Wasser ein. Der harte Asphalt führte nicht nur zu einem Beinbruch bei den gefiederten Besuchern.
Im Betriebshof, den Werkstätten, wo Fahrzeuge vorbereitet oder während der Dauererprobungen gewartet werden, bereiten sich die Versuchsfahrer auf ihre Einsätze vor. Sie legen in jedem Jahr rund 34 Millionen Testkilometer zurück. Alles für den einen Moment, wenn der Vorstand die Freigabe für ein Erprobungsfahrzeug gibt und die Serienfertigung beginnt.
Rekorde sind also kein großes Ding im VW-Testzentrum. So werden auch Jubiläen wie der 45. Geburtstag des Testgeländes nicht weiter begangen. Zumal die Zeitgenossen, die damals nach der Eröffnung die ersten Runden durch die niedersächsischen Wälder drehten, heute längst im Ruhestand sind. Schade, dass die Geschichte des Prüfgeländes im VW-Museum in der Wolfsburger Autostadt nicht ausführlicher erzählt wird. Ach ja, wir verstehen. Zu geheim.
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(Foto: VW)
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