Fahrtraining für Senioren
Stoppen, Schleudern, Schulterblick
Für viele Senioren ist der Führerschein im Alter ein Stück für Lebensqualität.
Die Teilnehmer sind überpünktlich. Noch vor dem offiziellen Beginn sitzen die Männer und Frauen im Konferenzraum der ADAC-Trainingsanlage in Boksee bei Kiel. Sie wollen heute ein Fahrsicherheitstraining absolvieren. Das Besondere: Die Herrschaften sind alle im Rentenalter. Die Beweggründe, warum sie das Training absolvieren sind durchaus unterschiedlich. "Ich habe von meiner Frau einen Gutschein zum 70. Geburtstag bekommen", sagt ein Teilnehmer, der zunächst noch ein wenig skeptisch guckt. Seine Frau sitzt neben ihm. Sie hat vor einigen Jahren mit der Firma schon einmal ein Fahrsicherheitstraining absolviert und fand das eine gute Idee.
Damit gehört sie aber offenbar zu einer Minderheit. Senioren überschätzen einer Studie zufolge häufig ihre Fähigkeiten am Steuer. Von 282 befragten Männern und Frauen mit einem Durchschnittsalter von 74 Jahren gaben demnach mehr als 70 Prozent an, ihre Fahrfähigkeiten im Zweifel selbst besser einschätzen zu können als andere. 83 Prozent behaupteten, noch nie auf Schwächen angesprochen worden zu sein, meldet "Der Spiegel" unter Berufung auf eine Untersuchung der Universität Wien für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Zugleich sagten 60 Prozent einer ebenfalls befragten Gruppe von Angehörigen, sie hätten die Älteren nach eigenen Angaben mindestens einmal auf Fahrmängel aufmerksam gemacht.
Das ist auch bei einigen Teilnehmern des Seniorenfahrtrainings in Boksee der Fall. Kinder und Enkelkinder bewegten manche von ihnen zur Teilnahme am Kurs. Den einen fuhr Opa zu forsch, den anderen zu verhalten. Andere wollten einfach sehen, wie sich ihr neues Auto in extremeren Situationen verhält. Doch bevor es auf die Strecke geht und Bremsen, Lenkung und Reaktionsvermögen getestet werden, gibt es ein bisschen Theorie. Fahrtrainer Horst Heider schreibt einige Begriffe an eine Tafel: ABS, ESP, ACC. Von ABS und ESP haben schon einmal gehört, auch wenn nicht alle ganz genau wissen, ob es in ihrem Auto schon vorhanden ist. Doch wofür die Abkürzung ACC steht - außer für ein Hustenmittel - weiß niemand. Was aber vermutlich nicht am Alter liegt. Heider klärt auf: Die Buchstaben stehen für "Adaptive Cruise Control" und bezeichnen einen Abstandsregeltempomat.
Anschließend geht es in die Praxis. Heider - mit 73 Jahren ebenfalls im Rentenalter - erklärt seinen Schützlingen die erste Aufgabe. Sie werden Slalom fahren, Bremsen auf nasser, trockener und halbnasser Straße und Hindernissen ausweichen. Insgesamt fünf Stunden dauert das Programm, drei Stunden weniger als das normale Training, denn psychisch und physisch sind ältere Menschen häufig nicht mehr so belastbar, erzählt Fahrtrainer Jens Pfeiffer. Häufiges heftiges Bremsen beispielsweise strengt sie einfach mehr an.
"Ein Stück Lebensqualität"
Davon ist an diesem Tag allerdings wenig zu merken. Mit Feuereifer und hochkonzentriert steuern die Rentner ihre Autos durch den Parcours. In den Pausen wird diskutiert. So erzählt ein Teilnehmer von einem Bekannten, der trotz eines Schlaganfalls noch Auto fährt. Viele sehen das kritisch. Eigentlich. Aber sie können auch verstehen, dass der Mann seine Mobilität erhalten will. "Sie ist ja auch ein Stück Lebensqualität", sagt einer. Die anderen nicken.
Die Senioren auf der ADAC-Anlage bei Kiel stehen mit dieser Meinung nicht alleine da. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) aus dem Winter 2012 finden 93 Prozent der Autonutzer der Generation 65+ es sehr wichtig oder wichtig, dass sie sich selbstständig mit dem Auto fortbewegen können. Das Autofahren ermögliche soziale Teilhabe und sichere Lebensqualität, heißt es. Aus diesem Grund gibt es verschiedene Beratungs- und Schulungsmodelle, Gesprächskreise, freiwillige Gesundheitschecks etwa oder Extra-Fahrstunden im eigenen Auto, wo der Fahrlehrer nach der Fahrt Verbesserungstipps gibt.
Heider befürwortet das. Die älteren Verkehrsteilnehmer liegen ihm sehr am Herzen. Oftmals seien es nur kleine Anlässe, die Ältere in Führerschein-Schwierigkeiten brächten, sagt er. Dabei würden kleine Auffrischungen schon viel bringen. Und auch ein Schlaganfall allein sei kein Grund, sich nicht mehr hinters Steuer zu setzen. Ein Fahrzeug-Umbau etwa könne etwaige Handicaps ausgleichen. Und es sei ja auch nicht so, dass Senioren grundsätzlich schlechter führen als junge Leute, sagt Pfeiffer. Schwierig werde es, wenn sie körperliche Schwächen, wie etwa nachlassendes Hör- oder Sehvermögen, leugnen. Trainings seien gut, weil dabei in einem sicheren Umfeld die Grenzen getestet werden könnten. Dem stimmt auch der zunächst skeptische Hamburger bei: "Die Erkenntnis ist super, egal bei welcher Übung." Er werde das Training auf jeden Fall weiterempfehlen. (dpa)
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