Verkehrssicherheit
Blinde fürchten Elektroautos
Blinde können die leisen Elektroautos kaum hören, wie ein Test in Bremen zeigte. Daher fordert der Deutsche Blindenverband irgendwie wahrnehmbare Geräusche.
Straßenbahnen, Busse und Autos rauschen über die Kreuzung in Bremen. Es ist so laut, dass man sich nur mit erhobener Stimme unterhalten kann. Vor der Ampel warten mehrere Wagen auf Grün. Motoren heulen auf, doch einige fahren fast geräuschlos an. "Ich hör' die nicht", sagt Petra Heiden. Die 45-Jährige ist nahezu blind. Im Straßenverkehr muss sie sich deshalb auf ihre anderen Sinne verlassen. Doch bei Elektroautos versagen diese.
"Da fehlt ein dominantes Geräusch", urteilt Heiden. Auf einem Parkplatz und einer belebten Kreuzung hat das Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) am Dienstag getestet, wie Blinde und Sehbehinderte die leisen Flitzer wahrnehmen. Interessenverbände fordern schon seit längerem, dass diese mit einem Geräuschgenerator ausgestattet werden müssen. Auch die Vereinten Nationen arbeiten gerade an einer entsprechenden Regelung.
Doch wie könnte der künstlich erzeugte Lärm genau aussehen - und in welchen Situationen wäre er nötig? Mit Hilfe des Tests wollen die Wissenschaftler neue Erkenntnisse sammeln. "Im Moment werden die Gesetze gemacht von Menschen, die nicht blind sind und E-Autos nicht verstehen", erläutert der IFAM-Projektleiter für elektrische Systeme, Thorsten Müller.
Rund 35 Testpersonen aus Bremen, Niedersachsen und Berlin haben die Forscher eingeladen, um in einer wenig befahrenen Einfahrt und an einer belebten Kreuzung die Geräusche der Stromer zu beurteilen. Als erstes fahren zehn batteriebetriebene Wagen hintereinander über die Einfahrt, immer wieder gefolgt von normalen Autos. In der relativ ruhigen Umgebung kein Problem für Klaus Berling. "Ich habe die Elektroautos genauso gut gehört wie die anderen."
Doch als dann ein Bus über die Einfahrt brettert, muss der 39-Jährige passen. Die Geräusche der E-Autos gehen komplett unter. Genauso läuft es später auf der Kreuzung. Berling, Heiden und die anderen Testpersonen nehmen die Stromer kaum wahr. Besonders schwierig wird es, wenn diese langsam fahren oder einparken - egal, ob die Umgebung laut oder leise ist.
Blindenverband fordert "wahrnehmbare Geräusche"
Geht es nach dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, müssen alle Elektroautos bei niedrigen Geschwindigkeiten bis etwa 40 Stundenkilometer einen Ton von sich geben, der sich nicht abschalten lässt. "Wir wollen keinen Lärm, aber irgendwie wahrnehmbare Geräusche", sagt Verbandsexperte Hans-Karl Peter. Und vor allem: Es muss ein unverwechselbares Geräusch sein, das bei jedem Modell gleich ist. Wieso können Elektroautos nicht wie Lastwagen beim Zurücksetzen piepen? Berling hält das für eine gute Idee. Heiden würde sich außerdem wünschen, dass das Geräusch wie bei einem Verbrennungsmotor variieren kann - damit Blinde erkennen können, ob der Wagen anfährt oder abbremst und in welche Richtung er abbiegt.
Bis 2020 will die Bundesregierung eine Million Elektroautos auf deutsche Straßen bringen. In Zukunft könnte es also ruhiger im Verkehr. Denn je mehr Stromer unterwegs sind, umso geringer ist auch die Geräuschkulisse von anderen Fahrzeugen. "Dann würde es auch reichen, wenn die E-Autos leise Töne von sich geben", meint Heiden. (Irena Güttel, dpa)
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